Ursachen von Verspannungen

Quelle:
Hüter-Becker, Schewe, Heipertz: Physiotherapie, 1996

Muskeltonus

Die Muskulatur des Menschen hat einen Grundspannungszustand, den Muskeltonus. Die Tonusveränderung wird durch neuronale Reize verändert. Sensoren (Muskelspindeln) in den Muskeln ermitteln den momentanen Spannungszustand und melden diesen an Rezeptoren, die dann wiederum in einem Reflexbogen eine Rückmeldung an die Muskulatur geben, diesen Spannungszustand entweder beizubehalten, oder zu verändern.Dies ist wichtig, um den Muskel auf die bevorstehende "Arbeit" und Kraftentwicklung vorzubereiten. Würde eine solche Tonusveränderung nicht stattfinden, wäre der Muskel nicht in der Lage unbeschadet so schnell auf eine Längenveränderung (Dehnung) sowie auf eine geplante (antizipierte) Kraftentwicklung zu reagieren.

Der Muskeltonus kann aber auch durch andere Einflüsse wie z.B. Angst, Schmerz, Kälte, Streß und andere psychische Faktoren angehoben werden.
Eine übermäßig gesteigerte Grundspannung erhöht nicht nur den Ruheumsatz, sondern erschwert auch die Einleitung und Durchführung der Zielmotorik. Je stärker die Grundinnervation, um so mehr bahnende und hemmende Impulse müssen aufgebraucht werden. Der Widerstand, gegen den ein antagonistischer Muskel arbeiten muß, ist relativ groß. Andererseits bewirkt die erhöhte Muskeldauerspannung eine Kompression der Gefäße, die Reduzierung des Gefäßquerschnitts ruft eine deutliche Verringerung der Durchblutung hervor. So kann bei erhöhtem Energiebedarf der Muskel nicht mehr ausreichend versorgt werden. Als Folge entsteht eine relative Ischämie, also ein Mißverhältnis zwischen Blutbedarf und Blutzufuhr. Dadurch werden schmerzauslösende Substanzen freigesetzt, welche Schmerzrezeptoren aktivieren. Der Kreislauf des Muskelspannungsschmerzes wird ausgelöst.

Muskellänge

Ein Muskel besitz eine Grundlänge, welche verändert wird, wenn der betroffene Muskel Arbeit leisten muß. Allerdings ist der Muskel nur in der Lage sich zu verkürzen, er kann sich nicht selbst dehnen. Um also den Muskel wieder in seine Ausgangslänge zu bingen, muß der Gegenspieler (Antagonist) sich verkürzen. So entsteht das Wechselspiel der Bewegung.

Nach geleisteter Arbeit bleibt jedoch eine gewisse Verkürzung der Muskulatur bestehen. Der Grund hierfür ist, daß die kontraktilen Elemente der Muskelfasern sich stark aneinander binden und z.B. Sauerstoffmangel in der Muskulatur das Lösen dieser Verbindungen verhindert. Erst ein Dehnen löst die Verbindungen mechanisch auf.

Wird ein Muskel oder eine ganze Muskelgruppe stark beansprucht, ist die Muskellänge sehr verkürzt, d.h. die Muskelenden nähern sich aneinander an und der Muskelbauch vergrößert sich. Uns allen ist mittlerweile bekannt, daß Muskelarbeit Energie verbraucht und "Abfallprodukte" dabei entstehen. Diese Stoffwechselprodukte werden über das Blut abgeführt, gelangen zum Herzen und werden über Lunge und Niere ausgeschieden bzw. enzymatisch abgebaut und neu synthetisiert. Eine verürzte Muskulatur hat aber anatomische Veränderungen. Sie ist gestaucht und das Blut kann dort nicht mehr einwandfrei zirkulieren und es entsteht Sauerstoffmangel. Folglich wird der Stoffabtransport und -abbau gestört und schmerzaktivierende Substanzen gebildet. Diese Stoffe verbleiben teilweise in der betroffenen Muskulatur und bewirken eine Versteifung und Verhärtung der Einheiten in der Muskelfaser. Zudem wird der Raum um den Muskel herum durch die gebildeten Stoffe enger, d.h. der Muskel hat weniger Platz. Diese Verdrängung hat zur Folge, daß der Muskel auf einen benachbarten Muskel oder Nerv drückt, was Schmerzen verursacht. Diese Schmerzen bewirken aber wiederum eine Tonuserhöhung in der Muskulatur, da diese gereizt wird, wobei schließlich auch Energie verbraucht wird und Stofwechselprodukte entstehen. Ein Keislauf, der sich schließt.

Wird so ein verkürzter Muskel weiterer Arbeit ausgesetzt verstäkt sich das oben erläuterte Phänomen. Daraus ergibt sich aber, daß durch die Verkürzung und Bereichsveränderung umliegende Muskelgruppen mitbetroffen werden, da der Raum sich auch für sie verringert. Eine Kettenreaktion entsteht die ganz offensichtlich eine Haltunsveränderung zur Folge hat. Diese ist aber nun nicht mehr physiologisch ökonomisch und zieht die gleichen muskulären Veränderungen bei benachbarten Muskeln nach sich obwohl sie im eigentlchen Sinne an der ursprünglichen Bewegung nicht beteiligt waren.

Nun sind aber von diesen Vorgängen nicht nur Sportler betroffen. Die Muskulatur wird auch benutzt und leistet Arbeit, ohne daß wir uns dessen bewußt sind. Die gesamte Rückenmuskulatur hilft uns, daß wir aufrecht gehen können. Sie arbeitet wenn wir sitzen, stehen und bewirkt, daß wir nicht einfach zusammenfallen. Auch die Brust- und Bauchmuskulatur ist daran beteiligt. Jedoch ist bei den meisten Menschen diese Muskulatur schwach ausgebildet. Falsches Sitzen oder Stehen sind die Folge, weil die Muskulatur nach einiger Zeit ermüdet und sich die gleichen Veränderungen im Muskel stattfinden, wie nach einem intensiven Training: Sauerstoffmangel in der Muskulatur, ehöhte Stoffwechselproduktion Ausschüttung schmerzauslösender Stoffe und Fehlhaltung. So ist es nicht verwunderlich, daß in unserer heutigen Gesellschaft, in der die meisten Menschen eine sitzende Tätigkeit ausüben, der Großteil der Bevölkerung Verspannungen hat. Langes Autofahren, monotone Tätigkeiten, Streß und psychische Anspannung bewirken muskuläre Haltungsveränderungen, die zu Verspannungen führen.

So ist also nicht nur für Sportler das Dehnen sowie eine häufige Haltungsänderung obligatorisch, um sich nicht in diesen Kreislauf zu begeben.

Wenn es aber doch einmal soweit gekommen ist, und das ist es leider bei den meisten Menschen, kann man durch Massagen dennoch etwas dagegen tun. Trotzdem möchte ich nochmals an dieser Stelle betonen, daß gezielte Kräfigungsübungen, sowie ausgiebiges Denhnen dadurch nicht umgangen werden können, sondern essentiell für eine Besserung und Erhaltung einer beschwerdefreien Muskulatur und Körperhaltung sind.